Warum in Gemeinschaft…

…leben? / …wohnen?

Dieser Text wurde von einem Kollektiv in 2016 geschrieben und hier vorerst weitestgehend unredigiert wiedergegeben. Was ist die (politische) Motivation für Hausprojekte ist einer der Leitfragen des Textes.


„Jede Bewegung, jede wirkliche Begegnung, jede Episode eines Aufstands […] zeugt davon, dass ein gemeinsames Leben möglich, wünschenswert, potentiell reich und freudig ist.“
Das unsichtbare Komitee, 2014

Die Idee zur Schaffung eines gemeinschaftlichen Wohnraums, der unseren Bedürfnissen gerecht wird, in dem Selbstverwirkskeitserfahrung und Solidarität sich gegenseitig bereichern können und der Freiräume schafft, zieht sich schon seit Jahren durch unsere Projektgruppe. Häufig schon Gegenstand von Diskussionen und Spinnereien, wurden mal allgemeinere Erwartungen ausgetauscht, mal konkretere Ideen entwickelt und Pläne geschmiedet. Die Erfahrungen, die viele von uns schon als Studierende in den Wohngemeinschaften gesammelt haben, und vor allem die Erfahrung des Zusammenlebens in der Kaiserstraße haben dazu beigetragen, dass wir die Form des gemeinsamen Lebens im „Großfamilien-Mosaik“ anderen Wohnformen vorziehen. 

„Soziale Zweckmäßigkeit, Sachlichkeit war unser wesentlichstes Anliegen, Architektur sollte die physischen und psychischen Bedürfnisse der Bewohner erfüllen, sie sollte bequemes Wohnen ermöglichen, Hilfe zur Bewältigung des täglichen Lebens bieten, zur Kooperation anregen und sie sollte ein ‚Wohnklima‘ entstehen lassen.“
Ferdinand Kramer, 1984

Hilfe bei der Bewältigung des täglichen Lebens, Kooperation und ein „Wohnklima“ – die Vorteile gemeinschaftlichen Lebens liegen für uns auf der Hand, aber dennoch werden wir von Außenstehenden und Interessierten immer wieder zuerst auf die kritischen Aspekte des gemeinschaftlichen Wohnens hingewiesen. „Was wenn es Streit gibt?“, „Was passiert, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden? Oder der Platz nicht auf Dauer ausreicht, weil sich mit der Zeit Bedürfnisse ändern?“

Diese Einwände sind sicherlich nicht von der Hand zu weisen und müssen sorgfältig betrachtet werden. Wohnen in einer großen Gruppe passiert immer im Spannungsfeld zwischen Eigen- und Gruppeninteresse – hier die Balance zu finden und die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen ohne die Bedürfnisse der Gemeinschaft aus dem Blick zu verlieren, ist nichts was Jeder oder Jedem jederzeit und leicht gelingt und etwas, was selbst in über Jahre gewachsenen Kommunen als Herausforderung betrachtet wird.

„Es gehört wohl zu den Königsdisziplinen für Fortgeschrittene, irgendwann ein zufrieden-stellendes Verhältnis zwischen Gemeinschafts-zeit und freier Zeit entwickelt zu haben.“
Kommuja, 2014

Aber auf die Perspektive, den persönlichen Blickwinkel, kommt es an, wie gemeinschaftliches Wohnen erlebt wird. Das Leben in Gemeinschaft bringt nicht nur, wie oben erwähnt, viele Vorteile im täglichen Leben mit sich, es schafft auch eine Kraft darüber hinaus.

„Für die Situation, mit der sich eine Gemeinde konfrontiert sieht, ist charakteristisch, dass man darin immer mehr findet, als man einbringt und sucht, sobald man sich ganz auf sie einlässt: Man findet darin überraschenderweise seine eigene Kraft, Ausdauer und einen Einfallsreichtum, den man zuvor nicht kannte, und das Glück, das darin besteht, strategisch und täglich eine Ausnahmesituation zu erleben. In diesem Sinn ist die Kommune die Organisation der Fruchtbarkeit. Sie bringt immer mehr davon hervor, als sie einfordert.“ Das unsichtbare Komitee, 2014

Wenn wir den Wert des gemeinschaftlichen Lebens schätzen können, uns mit einer entsprechenden Haltung darauf einlassen und einem offenen Herzen an die Sache herangehen, fehlt nur noch das richtige Werkzeug, um das Kunststück zu meistern und für jedes Kind und jeden Erwachsenen mehr entstehen zu lassen, als wir in Summe in das Projekt hineinstecken.

Natürlich sind die richtigen Werkzeuge eine Herausforderung für sich – kooperatives Handeln, eine offene Kommunikationskultur und Mechanismen zur Entscheidungsfindung sind nicht einfach da, all das müssen wir uns konsequent und immer wieder erarbeiten, auf uns und unsere Bedürfnisse zurecht schneidern und als unsere Werkzeuge entdecken.

„Die Entwicklung und Entstehung von Gemeinschaft ist vom Zugehörigkeitsgefühl abhängig, das diejenigen empfinden, die diese Gemeinschaft gestalten und beleben.“
Kommuja, 2014

Unser Selbstverständnis – und dieses Konzept als Teil davon – soll uns als Werkzeugkiste helfen, diese Werkzeuge verfügbar zu haben, auch neue Werkzeuge dazu nehmen zu können und letztlich die Herausforderung der ständigen „Ausnahmesituation“ zu meistern, ein gemeinschaftliches Wohnen zu ermöglichen, Gemeinschaft zu gestalten und zu beleben.